Humboldt-Universität zu Berlin - Allgemeine Soziologie und Kultursoziologie

Forschung

Prof. Dr. Vincent August

 

Forschungsbereiche


 

Allgemein:

  • Gesellschaftstheorie und Politische Theorie
  • Konfliktforschung und Politische Soziologie
  • Ideengeschichte und Wissenssoziologie 

 

Spezifisch:

Konflikt und Kohäsion:
Konflikttheorien | ökologische Konflikte | Zusammenhalt, Solidarität | Rekonziliation | agonale Demokratietheorien | konfliktiver Liberalismus und Republikanismus | Prozesstheorie und Temporalität von Konflikten
Ökologie und Technologie:
Ökologische Konflikte | Systemisches Denken | Genealogie technologischen und ökologischen Wissens | Technokratie | Kybernetik, Systemtheorie, Netzwerk-Theorien
Regieren - Theorie, Praxis, Kritik:
Transformation von Steuerung und Staatlichkeit in der (Spät-) Moderne | Souveränität | network governance | (Neo-)Liberalismus
Transparenz  und Öffentlichkeit:
Normen, Funktion und Folgen von Transparenz | Regime von Öffentlichkeit | Narrativität und Performativität

 

 

Liste der Forschungsprojekte:

Konflikt und Kohäsion: Eine Theorie demokratischer Konflikte | Ökologische Konflikte
Technologisches Regieren: Die kybernetische Transformation von Politik und Gesellschaft |  Theorie und Praxis der Transparenz

 

 

Ökologische Konflikte


Repräsentationsansprüche und Strategien im Streit um die kommende Gesellschaft (2023-2026, Gerda Henkel Stiftung)

 

Die Forschungsgruppe

 

Letzte Generation Blockadeaktion Klimademo Luitpoldbrücke München 2022-11-22 Interview

Die Intensität ökologischer Konflikte steigt. Denn es geht nicht nur um umwelt- oder klimapolitische Sachfragen geht, sondern auch um die Gestalt der sozialen Ordnung – um ihre institutionelle Struktur, die privilegierten sozialen Gruppen und ihre Konfliktkultur. In den ökologischen Konflikten werden die Konturen der kommenden Gesellschaft ausgehandelt. Dieser Vermutung geht eine Forschungsgruppe nach, die von der Gerda Henkel Stiftung für 3 Jahre gefördert wird (Gesamtsumme ca. 235.000 €) und die Ordnungs­vorstel­lungen und Konflikt­dynamiken ökologischer Aus­einander­setzungen in den Blick nimmt. Die Gruppe besteht neben Prof. Vincent August (Berlin) und Prof. André Brodocz (Erfurt), drei promovierenden und zwei studentischen Mitarbeiter*innen.   

Ziel des Projektes ist es, die normativen und strategischen Kräfteverhältnisse systematisch zu analysieren. Dabei treffen mehrere Dimensionen zusammen: Einerseits ist die ‚ökologische Krise der Demokratie‘ eine Auseinandersetzung um die demokratische Institutionenordnung, der womöglich mit Rechten für Flüsse und Berge oder mit Institutionen für Tiere und zukünftige Generationen eine Generalüberholung ins Haus steht. Gleichzeitig werden die Repräsentationsansprüche bestimmter sozialer Gruppen verhandelt, die als Repräsentanten der "zukünftige Generation" oder der "Letzten Generation" auftreten, während die Gegenseite als "Boomer-Generation" erscheint oder sich selbst als Vertretung einer bedrohten Mehrheitsgesellschaft der "Nackensteak-Esser" (Ralph Brinkhaus) stilisiert. Wie werden solche Repräsentationsansprüche durchgesetzt? Wann werden sie anerkannt oder abgelehnt? Und welche Konfliktdynamiken entstehen daraus? Diese Konflikte um soziale und politische Repräsentanz haben schließlich noch ein dritte Dimension. Denn in ihnen werden auch die Umgangsformen gesellschaftlicher, ‚ziviler‘ Interaktion neu bewertet. In den Auseinandersetzungen um zeichnen sich so auch neue Muster der Konfliktaustragung ab. Diese gesellschafts-, repräsentations- und konflikt­theoretischen Fragen untersucht das Projekt empirisch, indem es drei konkrete Konfliktgeschehen im Detail analysiert, vergleicht und zu weiteren Fällen ins Verhältnis setzt: das „Klima-Urteil“ des BVerfG, um die „Kohlekommission“ und um die kommenden Weltklima­konferenzen. (Abb.: Letzte Generation via WikiCommons,  München 2022, CC BY-SA 4.0)

 

Aktuell laufende Studien / Datensammlungen

  • Studie zur sog. Kohlekommission
  • Studie zum Konflikt um das "Heizungsgesetz"
  • fortlaufender Event Catalogue und process tracing zur Beobachtung von Klimabewegung, Gegenspielern, Politik und intermediären Akteuren
  • Studie zur Repräsentationsansprüchen der konfligierenden Sprecher*innen und Gruppen während der Lützerath-Auseinandersetzung

 

Medienbeiträge (Auswahl)

 

Theorie demokratischer Konflikte (2020-)


 

Die westlichen Demokratien sind gespaltene Gesellschaften. Diese Diagnose ist allgegenwärtig. Dabei scheint es viele Gräben zu geben: zwischen arm und reich, Ost und West, Modernisierungsgewinnern und -verlierern, Kommunitaristinnen und Kosmopolitinnen. Als Reaktion darauf verbreitet sich nicht nur die Sorge um den sozialen Zusammenhalt, sondern auch der Ruf nach mehr Solidarität. Aber die spätmoderne Gesellschaft wird auf eine solche gesamtgesellschaftliche Solidarität nicht setzen können, denn sie produziert neue Konfliktlinien und generiert so die anstrengenden Konflikte, die uns zur Diagnose der gespaltenen Gesellschaft verleiten. Das Forschungsprojekt will jenseits von Solidaritätshoffnungen und Untergangsdiagnosen eine empirisch fundierte Konflikttheorie für die spätmoderne Gesellschaft ausarbeiten. Dafür sollen Erkenntnisse aus der abgerissenen Tradition soziologischer Konflikttheorien, der konfliktiven Demokratietheorien, der Kulturforschung und der Sozialpsychologie zusammengeführt werden. Es müssen insgesamt drei Dinge geleistet werden:

Erstens: Gesellschaftstheorie der Konflikte. Hier geht es darum, den Aufstieg der dominierenden Konfliktfelder - ökonomische Ungleichheit, Migration, Rassismus, Gender, Klima - aus der gesellschaftlichen Entwicklung der Spätmoderne heraus zu erklären. Die These ist, dass die Prominenz bestimmter gesellschaftlicher Konflikte im Strukturwandel der Spätmoderne angelegt ist. Die neuen, scharfen Konflikte entstehen aus genau dort, wo die westlichen Gesellschaften mit den globalen Folgen ihres eigenen Wirkens konfrontiert werden. Dabei werden bisherige Selbstverständnisse und die damit einhergehenden Ansprüche und Institutionen unter Rechtfertigungszwang gesetzt und mit Gegenentwürfen konfrontiert. Es entsteht eine fundamentale Auseinandersetzungen über das Selbstverständnis dieser Gesellschaft, die wir als Konflikte wahrnehmen. Im Forschungsprojekt "Ökologische Konflikte" (s.u.) wird ein zentrales Konfliktfeld im Detail empirisch untersucht.

Zweitens: Wiederbelebung der Konflikttheorie als Prozesstheorie. Man muss die gegenwärtigen Konflikte nicht nur in einer gesellschaftlichen Situation verorten (Gesellschaftstheorie), sondern auch die Dynamiken und Mechanismen von Konflikten, Konflikttransformation und im besten Falle Versöhnung verstehen. Daher soll eine Prozesstheorie des Konfliktes entworfen werden. Welche typischen Mechanismen der Konflikteskalation und -reduktion gibt es und wie setzen sie sich zusammen? Welche Rolle spielt die Konfliktdeutung der Akteure für die Entwicklung eines Konflikts? Welchen Einfluss hat der Verlauf von Konfliktinteraktionen auf ihre Ergebnisse? Ein solches Verständnis für die Prozessualität von Konflikten schließt zwar an die Klassiker der Konfliktforschung an, fehlt bisher aber in einer breiteren Öffentlichkeit, aber auch in Teilen der Forschung (in der Demokratietheorie etwa).

Drittens: Praktiken der Konflikttransformation. Wenn es zutrifft, dass die spätmoderne Gesellschaft neue Konflikte provoziert, dann wird man nicht mehr sinnvoll auf eine gesamtgesellschaftliche Solidarität hoffen können. Die Frage ist vielmehr: Wie können Problemlösungskapazitäten, Konfliktfähigkeit und sozialer Zusammenhalt unter den Bedingungen scharfer Konflikte organisiert werden? Dieser Frage nach einer Konfliktkultur soll mithilfe einer historisch-vergleichenden "Archäologie" der Praktiken und Institutionen der Konflikttransformation nachgegangen werden. So können konkrete, alternative Praktiken der Konfliktregulation empirisch fundiert erkundet werden.

 

 

Zwischenergebnisse

 

Wissenschaftskommunikation (Auswahl)

 

 

Technologisches Regieren: Die Transformation von Politik und Gesellschaft durch Netzwerke, Flexibilität, Agilität und Selbstorganisation (2014-2021)



Das Netzwerk ist ein Grundbegriff des 21. Jahrhunderts geworden – und mit ihm die Diagnose, dass wir in einem neuen Zeitalter leben, in dem es auf "Konnektivität", "Flexibilität" und "Selbstorganisation" ankommt. Woher kommt das Denken in Systemen und Netzwerken? Welche Merkmale hat es? Wie verändert das Denken in Netzwerken unsere Begriffe von Subjektivität, Macht und Gesellschaft - und wie unsere Institutionen und Praktiken?

In einer groß angelegten Geschichte des Regierungsdenkens zeichne ich erstmals diese fundamentale Transformation nach. Ich zeige, dass unsere Welt keineswegs nur durch den Neoliberalismus geprägt wird – und dass die Netzwerk-Gesellschaft nicht einfach ein Resultat des Internets oder von Computern ist. Vielmehr griffen Berater:innen und Intellektuelle wie Foucault, Crozier oder Luhmann auf die Kybernetik zurück, um die Ideenwelt der Souveränität abzulösen und unser Regierungsdenken grundlegend zu verändern. Eine Analyse spätmoderner Gesellschaften kommt ohne eine Analyse dieses Netzwerk-Paradigmas nicht aus. Und erst vor ihrem Hintergrund lassen sich die Folgen und Gegenbewegungen unserer Gegenwart verstehen.

In meiner Monografie "Technologisches Regieren" und darüber hinaus nehme ich fünf Komplexe in den Blick:

(1) Das Gegenmodell der Souveränität: Regierungsdenken und -praxis der Nachkriegszeit sind von einem ganz anderen Vorstellungen von Gesellschaft, Politik und Subjektivität angeleitet, die sich in andere Praktiken und Institutionen übersetzen. Diese ältere Tradition des Regierungsdenken steht auch heute noch zur Verfügung und wird nun auch von unterschiedlichen Akteuren zur Kritik des Netzwerk-Denkens wieder aufgerufen.

(2) Die Entstehung und Vorstellungswelt der Kybernetik: Die Kybernetik entwickelte eigene Epistemologie, einen eigenen Begriffsapparat und eine neue Vorstellung von Regierung und Regulierung. Diese Vorstellungswelt wird rekonstruiert, ihre internen Differenzen dargestellt und in der Nachkriegsdebatte um Technokratie und Steuerungsoptimismus verortet.

(3) Transformation des Regierungsdenkens in der Krise der Moderne: Die 1970er und 1980er werden - von ihren Zeitgenoss:innen und von heutigen Wissenschaftler:innen - als eine Umbruchszeit verstanden. Ich analysiere, wie sich die vorherrschenden Modelle des Institutionalismus ("Konservative") und des Neomarxismus ("Progressive") nicht mehr durchsetzen konnten - und stattdessen zwei neue Modelle aufstiegen: der Neoliberalismus (zzgl. des Zivilgesellschaftsliberalismus) und das Netzwerk-Denken.

(4) In Fallstudien zeige ich detailliert auf, wie die Wahrnehmungs- und Denkmuster der Kybernetik aufgenommen wurden, um die Vorstellungen, Institutionen und Praktiken von Politik und Gesellschaft umzuformen. Dafür untersuche ich insbesondere Foucault und Luhmann, Gouvernementalitäts- und Governance-Theorien als Fälle technologischen Regierungsdenkens. Im Anschluss an die Monografie nehme ich zudem die breite Wirkung von kybernetischen Figuren in konkreten Politik- und Wissensfeldern wie z.B. der Digitalisierung (s.u.) und der Ökologie in den Blick, die in unterschiedlicher Weise auf kybernetische Argumente und Begriffe (Resilienz z.B.) zurückgreifen und gleichzeitig zur Verbreitung kybernetischer Netzwerk-Figuren beitragen.

(5) Ich biete eine idealtypische Rekonstruktion des Netzwerk-Denkens, seiner epistemologischen, subjekttheoretischen, gesellschaftlichen und politischen Implikationen, um von hier aus eine kritische Perspektive auf (a) die nicht-intendierten Folgen von Netzwerk-Praktiken wie change management, network governance und Flexibilität zu eröffnen, (b) die eingeschliffenen Narrative in Politik und Wissenschaft zu werfen, die auf Netzwerk-Begriffe zurückgreifen, und eine Analyse des Mit-, Gegen- und Nebeneinanders konkurrierender Regierungsrationalität in unserer Gegenwart einzuleiten. 

 


Buch:

 

Aufsätze

 

Vorträge und Medienbeiträge (Auswahl)

 

 

Theorie und Praxis der Transparenz (2012-2019)



Transparenz ist in den letzten Jahren zu einer Allzweckwaffe geworden: Sie gilt als Lösung für fast jedes politisches Problem und kaum eine Organisation kommt darum herum, sich auf Transparenz zu verpflichten. Seit 2012 gehe ich diesem Transparenz-Imperativ nach. Das Projekt begann mit einer Studie zur Entstehung der politischen Transparenz-Idee, die ich dann in Fallstudien bis in unsere Gegenwart nachverfolgt habe. Daneben vergleiche ich die normativen Ansätze und die empirischen Forschungen zur Transparenz und führe sie zusammen. Dabei begleite und berate ich auch Forschungsprojekte zum Thema.

 

Auf diese Weise entwickele ich derzeit eine Theorie der Transparenz. Sie legt systematisch die politische Rationalität der Transparenz frei, die das Soziale nach einem bestimmten Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsmuster ordnet; sie zeigt historisch die Einsatzpunkte für gesellschaftliche Transparenzforderungen und evaluiert die Leistungen und nichtintendierten Effekte von Transparenzpraktiken.

 

Ausgewählte Publikationen zu dem Projekt

 

Wissenschaftskommunikation